Sonntags-Märchen zu Ostern

 Das Sonntags-Märchen

Die Lebensgesichter der Frau HolleLiebe kleine und große Kinder,

ob ihr wohl heute ein Ohr für ein schönes Märchen habt? Aber ich kann mir vorstellen, wenn die Ostereier alle gefunden sind und sich die Aufregung allmählich gelegt hat, tut ein Märchen so richtig gut.

So hört heute von einem unglücklichen Kind in der Osterzeit und welche unerwartete schöne Begenung es hatte:

An einem Frühlingstag, als die Schneeglöckchen ausgeläutet hatten, legte sich Frau Holle ihren blauen Mantel über die Schultern, auf den waren silberne Sterne gestickt. Und sie ging in die Welt hinein und sah es überall blühen. Da pflückte sie sich einen Osterstrauss, gelbe Himmelsschlüssel an den Hängen, blaue Vergissmeinnicht an den Wiesenbächen, und bei den Büschen den roten Seidelbast. Und wie die Frau Holle einen kleinen Wiesenweg ging, da begegnete sie einer Bauersfrau, die hatte einen Korb Eier am Arm. Die Bauersfrau trat zur Seite, als die Frau Holle an ihr vorüberging. »Einen recht guten Morgen wünsch ich«, sagte sie.

»Danke schön, liebe Frau«, sagte die Frau Holle, »aber willst du mir nicht ein Ei geben? Dann färb ich es mit Vergissmeinnicht.« Die Bauersfrau reichte ihr das ganze Körbchen, doch die Frau Holle nahm nur ein Ei, hielt es an die Vergissmeinnicht und sagte:

»Blau, das ist des Himmels Farbe. Sollst gesegnet sein. Bindet ihr euch eine Garbe, tragt ihr dreie ein! «

So sagte die Frau Holle. Das Ei aber war blau wie der Himmel. Und die Frau Holle ging weiter ihres Weges.

Die Lebensgesichter der Frau HolleNicht lange, da begegnete sie einer Bäckersfrau. Und auch die hatte ein Körbchen mit Eiern. Und wie sie die Frau Holle in ihrem blauen Sternenmantel sah, trat sie zur Seite und sagte: »Ich wünsch Euch eine gute Zeit!« »Danke schön, liebe Frau«, sagte die Frau Holle, »aber willst du mir nicht ein Ei geben? Dann färb ich es rot wie den Seidelbast.« Und die Bäckersfrau wollte ihr gleich das ganze Eierkörbchen geben, aber die Frau Hölle nahm nur ein Ei heraus, hielt es an den Seidelbast und sagte:

»Rot ist Blut, und Blut ist rot. Segen deinem Haus. Wenn du backst, für jedes Brot zieht ihr drei heraus! «

So sagte sie, und das Ei war rot wie der Seidelbast. Und die Frau Holle ging weiter und weiter, über die Wiesen, zu den Büschen und hinein in den Wald.

Im Wald aber, gerade dort, wo der Weg zu den sieben Bergen geht, da kam ein kleines Mädchen den steinigen Pfad herabgerannt. Das hielt ganz vorsichtig ein Ei in der Hand. Und es lächelte die Frau Holle an und sagte: »Einen schönen Tag wünsch ich von Herzen! « »Danke schön, liebes Kind«, sagte die Frau Holle, »aber willst du mir nicht dein Ei geben, dann färb ich es gelb an den Schlüsselblumen.« Das Kind betrachtete das Ei in seiner Hand und sagte: »Liebe Frau, das Ei, das hat mir die Förstersfrau geschenkt für meine Mutter. Denn meine Mutter, die ist so krank. Aber Euch, liebe Frau, will ich es gern geben. Vielleicht schenkt mir die Förstersfrau ein anderes Ei, wenn ich sie darum bitte.« Die Frau Holle hielt das Ei an die Schlüsselblumen, und da war es so gelb wie die Sonne. Und die Frau Holle sagte:

»Sonnenfarbe, die ist Gold. Liebes Kind, ich bin dir hold. Küsse dich auf deinen Mund: Deine Mutter ist gesund!«

So sagte sie und küsste das Kind auf den Mund, aber als sich das Kind umdrehte, um die Frau Holle noch etwas zu fragen, da war sie fortgeweht wie ein leichter Wind.

Das Mädchen aber lief nach Hause, und da stand seine Mutter schon in der Tür und war gesund.

Die Lebensgesichter der Frau HolleAuch die Bauersfrau und die Bäckersfrau waren nach Hause gekommen. Und auch der Bauer stand schon an der Tür und wartete. Er sagte: »Sieh doch nur unsere Scheune an und unseren Speicher!« Da lief die Frau ins Haus hinein und sah: Wo am Morgen nur ein Sack Mehl gestanden hatte, da standen jetzt drei, der ganze Speicher war voll Mehl und Korn, die Scheune voll Heu und der Keller bis oben an den Rand voller Kartoffeln.

Und die Bäckersfrau? Wie die nach Hause kam, da lagen die Fensterbänke voll mit Brot, Brot lag auch auf allen Tischen, und der Bäcker sagte: »Denk dir nur, wenn ich ein Brot in den Ofen schiebe, dann zieh ich immer drei heraus!« Die beiden Frauen erzählten ihren Männern, wem sie unterwegs begegnet waren, und sie dachten, dass es wohl mit der alten Frau im blauen Sternenmantel zu tun hatte, wenn der eine nun der reichste Bäcker und der andere der größte Bauer geworden war.

Tag um Tag ging vorüber. Das Korn blühte und reifte, und wenn der Bauer eine Garbe band, dann standen dreie da, und wenn er im Herbst einen Sack Kartoffeln ausgegraben hatte, dann wurden es drei, die er daheim vom Wagen ablud. Und der Winter kam mit Schnee und Eis, mit Sturm und Wolken. Dann aber kam wieder der Frühling.

Und wieder schloss die gute Frau Holle ihr Häuschen ab und ging hinaus in die Welt. Aber diesmal ließ sie ihren blauen Sternenmantel daheim. Sie sah aus wie eine arme alte Frau. Ein Körbchen hatte sie am Arm, darin lagen ein paar dürre Tannenzweige.

Die Lebensgesichter der Frau HolleZuerst kam sie ins Dorf und klopfte an die Tür vom Bauernhaus. Als die Bauersfrau die Tür aufmachte, da sagte die Frau Holle: »Liebe Frau, ich bin so arm. Schenkt mir doch ein Osterei.« Aber die Bauersfrau wollte sie gar nicht anhören und sagte nur: »Schon wieder so ein Bettelweib! Immer soll man schenken und schenken! Wir haben selber nichts! Mach, dass du fortkommst, sonst lasse ich den Hund los! « Und sie knallte die Haustür zu. Die Frau Holle aber ging weiter, schüttelte den Kopf und sagte leise:

»Grau ist Armeleutefarbe, Wasser ist ihr Wein. Bindet ihr euch eine Garbe, soll’s ein Korn nur sein! «

Und wie sie das sagte, da gab’s ein Poltern im Bauernhaus, ein Rascheln und Rischeln, und auf dem Kornspeicher rumpelte es. Und wie die Bauersfrau nachschauen ging, da lagen auf dem Kornspeicher die Säcke leer und zusammengefallen, da war nur noch eine Handvoll Mehl in den dicken Mehlsäcken, da war nur eine Kartoffel noch in jedem Kartoffelsack, und im Hühnernest war nur noch ein einziges Ei. Da merkte die geizige Frau, was sie angerichtet hatte. Und sie rannte zur Tür und wollte der alten Frau nachlaufen und ihr sagen: »Ich hab es so bös nicht gemeint! « Aber da war niemand mehr zu sehen.

Die Frau Holle stand vor dem Bäckershaus. Wieder klopfte sie an und sagte, als die Bäckersfrau an die Tür kam: »Liebe Frau, ich bin so arm. Schenkt mir doch ein Osterei.« »Was?« rief die Bäckersfrau. »Immer nur schenken und schenken! Wir haben nichts übrig! Ich ärgere mich noch schwarz! Pack dich! « Und sie knallte die Tür zu. Die Frau Holle aber ging weiter, schüttelte den Kopf und sagte leise:

»Schwarz ist Not und schwarz der Tod. Segen, aus dem Haus! Wenn ihr backt, statt gutes Brot Asche kommt heraus!«

Die Lebensgesichter der Frau HolleUnd als sie das gesagt hatte, da kamen auch schon die Gesellen zur Bäckersfrau und riefen: »Meisterin, das ganze Brot ist verbrannt!« Ja, da merkte die geizige Frau, was sie angerichtet hatte. Und auch sie wollte der alten Frau nachlaufen und ihr sagen: »Ich hab es so bös nicht gemeint!« Aber sie war nirgendwo zu sehen.

Die Frau Holle aber ging weiter über die Wiesen und an den Büschen vorbei in den Wald, und sie kam zu dem Häuschen, wo das arme Kind wohnte mit seiner Mutter. Und sie klopfte an die Tür. Da kamen das Mädchen und seine Mutter an die Tür. »Ihr lieben Leute«, sagte die Frau Holle, »ich bin so arm. Könnt ihr mir ein Osterei schenken?« »Gute Frau«, sagte die Mutter, »kommt in unser Häuschen, dann will ich euch eine Suppe kochen und ein Stück Brot geben. Mehr haben wir selber nicht.« Und die Frau Holle setzte sich in die Küche auf die Bank am Ofen. Die arme Frau aber machte Feuer im Herd und kochte eine Suppe. Und zu dem Mädchen sagte sie: »Kind, lauf doch in den Hühnerstall und schau nach, ob unser Huhn vielleicht ein Ei gelegt hat. Das können wir unserem Gast geben.« Das Kind lief hinaus, und die Frau Holle sagte leise:

»Halleluja, sing und sage, bald ist Osterfest. Und nun findet alle Tage voll das ganze Nest!«

Und schon rief das Kind aus dem Hühnerstall: »Mutter, Mutter, komm geschwind her! Ich kann die Eier nicht tragen! Das ganze Nest ist voll!« Das wollte die Mutter nicht glauben, und sie nahm nicht einmal ein Körbchen mit zum Hühnerstall. Als sie aber die vielen Eier sah, da freute sie sich sehr, und sie sagte: »Nun können wir der armen Frau einen wunderschönen Eierkuchen backen, und wir können ihr sogar Ostereier mitgeben! « Und das Kind und die Mutter gingen schnell in die Küche, um einen Korb zu holen. In der Küche aber, da war keine alte Frau mehr. Aber es roch wunderschön nach Flieder und nach Seidelbast. Und auf dem Tisch lagen drei Eier, drei Ostereier: ein blaues, ein rotes und ein gelbes, und das gelbe leuchtete wie die Sonne. Wie aber die Mutter die Eier anfasste, da merkte sie: Das blaue und das rote waren Edelsteine, die funkelten und blitzten, und das gelbe war reines Gold. Das Mädchen aber sagte zu seiner Mutter: »Liebe Mutter, jetzt weiß ich es wieder: Das war die alte Frau, die dich gesund gemacht hat damals!«

Und von nun an lebten die beiden glücklich in ihrem kleinen Haus – und das Märchen ist aus.

Frau Holle und die Ostereier

Märchen von Wilhelm Matthießen Aus dem Buch: „Die grüne Schule“ das vergriffen ist.

Die Lebensgesichter der Frau HolleHabt Ihr auch ein goldengelbes, himmelblaues oder rotes Ei im Osternest gefunden? Vielleicht ist es eines, das die Frau Holle gefärbt hat und noch einen heimlichen Wunsch damit versehen hat, für Euer glücklich sein.

Welchen Wunsch der euch am Herzen liegt, hätte sie erraten und erfüllt?

Ich wünsche euch von Herzen Frohe Ostern!

Wertvolle Märchenbücher:
“Maruschka und die 12 Monate”
Märchen von Bäumen
Der verborgene Stern Märchen von Büschen
Die Goldene Kugel: Ein Lebens-Märchen
Balkanmärchen

Möge
Ihr Wohl-Ergehen, Ihr
„Erfülltes Leben“,
Ihnen so wichtig und erlebenswert sein,
dass Sie nicht mehr davon ablassen!
;-)

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