Frau Holle Märchen: Die ungleichen Brüder

Frau Holle MärchenEs waren einmal zwei Brüder, die waren gar ungleich. Der eine strebte nur nach Geld und Reichtum, der andere aber, suchte Liebe zu geben und zu empfangen. Der Ältere, der nach Reichtum strebte, sprach zu seinem Bruder: „Tue es mir gleich, such dir ein reiches Mädchen und so kannst Du dich ins gemachte Bett legen. Nimmst Du aber das Röschen aus dem Radieschengarten, so sind wir fortan getrennte Leute.“ Doch so sehr der jüngere Bruder ihn auch mochte und so schwer ihm ums Herz war, so konnte er doch diesem Wunsch nicht nachkommen, denn das Mädchen seiner heimlichen Wahl hatte nichts weiter als seinen Fleiß und zwei Blumentöpfe auf dem Fensterbrett.

So machte er sich denn, um den Zwiespalt seines Herzens zu heilen, auf den Weg zu einer wunderbaren Quelle, von der es hieß, dass sie die Seele kräftige und jeden Kummer heile.

Er drang in den verrufenen Wald von Frau Lora ein, worin die Quelle lag, fand sie und sank nieder, um von dem heilkräftigen Wasser zu trinken. Als er getrunken hatte, fühlte er sich gekräftigt, ruhig und neuen Muts und erhob sich und wie er sich so umschaute, da sah er einen Felsen in der Nähe und darin eine Höhle und aus der Höhle heraus trat ein Zwerg, der sprach zu ihm: „Wenn du Mut hast, so folge mir.“ Der Jüngling folgte dem Zwerg in die Höhle und sie gelangten vor ein großes Tor, darüber stand in alten Buchstaben geschrieben:  

Stehst du hier vor,
so gehe stracks durchs Tor.

Frau HolleDer Zwerg zog einen goldenen Schlüssel hervor und öffnete das Tor. Und als es aufsprang, da war´s dahinter ganz licht und hell und hoch in dem Gang und man konnte in einen Garten blicken, in dem standen die schönsten Bäume, mit reifen, vollen Früchten und es war ein ewiger Frühling dort. Auf den Sträuchern saßen goldene Vögel, sangen und redeten untereinander mit Menschensprache. Der Jüngling ging weiter und sah in der Ferne eine Rosenlaube, darin saß eine hohe, wunderschöne Frau und er schritt auf die Laube zu und erkannte, dass es die Göttin Lora war, die Herrin dieses Gartens und des Waldes. Und sie sprach freundlich zu ihm: „Ich kenne dich schon seit langem und ich weiß wohl, wie treu du liebst, darum gebe ich dir diese wundersame Rose der Liebe und der Treue, solange du sie in Ehren hältst, wird das Glück bei Dir einziehen und Du und Deine Frau werdet einander immer lieber gewinnen, fleißige, liebreizende Kinder werden Euch geboren, ihr werdet allzeit in Liebe leben, bis ihr dann zum Lebensende so gemeinsam und vereint in das Grab sinken werdet, wie ihr gelebt habt. Gehe nun, und lebe.“ Und sie gab ihm die Rose.

Der Jüngling verabschiedete sich dankbar für die Gabe und diese milde Prophezeiung der Herrin der Gartens und küsste den goldenen Saum ihres Kleides. Dann führte ihn der Zwerg zurück durch den Garten und rechts und links am Weg sahen sie wieder die reifen Früchte auf den Bäumen, die sich verlockend im Winde wiegten und der Zwerg sprach zu dem Jüngling: „Pflücke dir nur so viel wie du nehmen möchtest und in Deine Taschen passen und trage es nach Hause zu Deiner Braut. Ich helfe Dir dabei.“ Da pflückten sie vorsichtig die reifen Früchte aus dem Gezweig und schon bald waren die Taschen des Jünglings prall und voll. Sie verließen den Garten und als der Jüngling sich wieder umsah, war der Zwerg verschwunden und er befand sich wieder allein im Lora-Wald und hätte er nicht die wundersame, leuchtende Blume dabeigehabt und hätte er nicht die Früchte in seinen Taschen gefühlt, so hätte er gedacht, daß es alles nur ein Traum gewesen wäre.

Frau HolleAls er nach Hause zu seiner Braut kam, die sich schon um ihn gesorgt hatte, da erzählte er ihr von seinem Erlebnis, doch sie mochte gar nicht an den Rosen-Garten glauben, freute sich aber über die wunderschöne Blume, die er ihr mitgebracht hatte. Er wollte ihr zum Beweis die Früchte zeigen, doch da musste er das Futter auftrennen, so schwer wogen sie in den Taschen und ließen sich nicht anders herausnehmen. Kaum hatte er das Futter aufgeschnitten, da rollten große, prächtige, goldene Kugeln über den Boden, da war der Reichtum für sie da und sie konnten Hochzeit halten nach alter Sitte.

Mit großer Umsicht erwarb der Jüngling Land in der fruchtbaren Goldenen Aue. Er ließ Haus, Scheunen, Ställe und Speicher errichten und am Tag der Hochzeit, da fuhr die Braut in der Kutsche durch das festlich geschmückte Tor. Und da sie beide die wundersame Blume in Ehren hielten, so traf alles ein, was die Göttin Lora ihnen verheißen hatte. 

So wie zu allen Zeiten der Geruch des Geldes und Glücks die Menschen anzog, so traf auch der ältere Bruder bald auf dem Hof ein und wurde in Ehren aufgenommen. Die Klinke war noch warm von seiner Hand, da wollte er schon neugierig und voller Neid wissen, woher denn dieser Reichtum gekommen sei. Der Bruder erzählte ihm die ganze Geschichte und auch von der Bedeutung der Wunderblume und der Ältere dachte: „Da hat der dumme Hans aber mal Glück gehabt, aber sich mit dieser Blume zu begnügen, das ist doch Firlefanz. Ich würde gewiss noch mehr von diesen Früchten mitnehmen und würde damit mein Glück machen. Dann könnte ich meine verschrumpelte Alte auf ihrem Geldsack sitzen lassen und mir ein junges Mädchen nehmen, rund und glatt, nach Herzensgeschmack.“

So machte sich der Bruder bald auf, um den Zauber-Wald der Frau Lora zu finden. Und er hängte an den Knauf seines Wanderstocks auch ein Bündel mit Wurst und Speck für unterwegs, damit er auch bequem reisen könne und nicht hungern müsse. Und oft machte er eine Pause, um sich zu stärken und kam so gar nicht recht voran. Er irrte lange Zeit im Wald der Frau Lora umher und war schon ganz erschöpft, als er endlich den Felsen fand, an dem der Eingang in den Garten war. Vor dem Felsen da rekelte sich ein buckliger Zwerg und der Bruder stieß ihn mit dem Fuß an. Doch der Zwerg gähnte nur müde und erst nach langem Bitten und Betteln ließ er sich dazu überreden, ihm den Weg in den unterirdischen Garten zu zeigen.

Frau HolleUnterwegs war´s für ihn recht beschwerlich, denn er stieß sich an jeder Zacke und Ecke. So kam der Bruder ganz zerschunden und zerstoßen vor dem Tor an. Kaum hatte der Zwerg das Tor geöffnet und es sprang auf, da stürzte sich der Bruder auch schon gierig auf die Früchte der Bäume und riss die kostbaren Blüten und Früchte ab, dass sie ihm nur so um die Ohren flogen. Bald bedauerte er, dass nicht mehr Platz in seinen Taschen war und dass er seinen Rucksack vergessen hatte, um noch mehr von den kostbaren Früchten einzusacken. Er dachte überhaupt nicht an die Lebensblume, sondern nur gierig daran, wie er noch mehr dieser kostbaren Früchte mit sich tragen könnte.

„Weg, Du gieriger Wicht,“ rief eine Stimme und eine Gestalt reckte sich drohend über ihm auf. „Lass ab von den Früchten, Du unreines Herz. Ich bin es, welche die Treue behütet und die Habgier bestraft. Schließe deine Augen und was du dann siehst, das ist dein. Auf, meine Geister, packt ihn und jagt ihn fort!“

Der Plünderer fühlte, wie hunderte kleiner Hände und Fäuste an ihm zerrten, ihn kratzten und bissen und windelweich schlugen. Ganz zerschunden und zerkratzt wurde er aus dem Berg hinausgeworfen und viel davor in eine stinkende Grube. Grollend schloss sich der Berg hinter ihm. Ganz still schlich sich der geschlagene Bruder davon. Und er dachte trotzig: „Habe ich auch viele Püffe und Knüffe gekriegt und bin ich auch ganz zerkratzt, so habe ich doch ein reichliches Schmerzensgeld in der Tasche.“ Und als er nach Hause kam, da wollte er die Taschen ausleeren, griff hinein und fasste in einen stinkenden, ekligen Brei. Doch noch einmal wollte der enttäuschte Schatzsucher nicht in den Zauberberg fahren. Und so dachte er: „So muss ich mich halt mit der hutzligen Alten abfinden.“   Doch so protzig auch die Hochzeit war, so rollte ihnen das Glück und das Geld bald aus dem Haus. Zu ehrlicher Arbeit taugten die beiden so sehr, wie der Igel zum Schnupftuch. Und das Geld schmolz ihnen bald wie das Schmalz in der Pfanne unter den Händen weg und ließ sie mit Essiggesichtern zurück. Und am Ende, da blieb dem Mann von alledem nur noch die Alte selbst. Denn der Mensch ist das wert, was ihm wiederfährt.

Die Familie des Bruders aber lebte glücklich im Licht der wunderschönen Blume. Die Frucht auf dem Felde wuchs, das Vieh entwickelte sich prächtig und ihre Kinder hatten ein fleißiges Leben. Als die Stunde kam, in der sie beide Abschied nehmen sollten, um ins Land der ewigen Dinge zu gehen, da taten sie auch dies gemeinsam und die Leute im Dorf sprachen: „Einig gelebt, einig gestorben, das macht selig.“

Die ungleichen Brüder

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Die Lebensgesichter von Frau Holle.
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